Stille

Als ich gebeten wurde,
zwei Seiten über Stille zu schreiben,
war der erste Impuls,
die Seiten leer zu lassen.
Die leere Seite, auf der alles möglich ist,
alles inbegriffen ist was geschrieben
werden kann und noch viel mehr
und mehr und mehr.
Die Stille schliesst nichts aus,
kein Geräusch, noch nicht einmal Lärm.
Sie ist der offene Raum, die Unendlichkeit,
das Tao, in dem alles
und aus dem alles entsteht
und in den alles zurückkehrt
im selben Moment.
Wenn wir bereit sind, auf die Stille selbst
zu hören und nicht nur auf das,
was in ihr erscheint,
wenn wir uns des unendlichen Raums
bewusst bleiben und nicht nur
die Phänomene des Innen und Aussen
wahrnehmen, die allesamt vergänglich,
allesamt leer an eigener Substanz sind,
dann stehen wir in Staunen und Ehrfurcht da
und erkennen uns als das, was immer
ungetrennt war von der Unendlichkeit,
von der Liebe, vom reinen Bewusst-Sein,
von der wahren Natur des Geistes.
Wenn wir jedoch nur auf die Worte hören,
nicht auf die Quelle, aus der die Worte
entsteigen, wenn wir nur auf die Geräusche
hören, selbst wenn wir nur auf die Töne
einer Musik hören, ohne die Stille,
den Raum wahrzunehmen, die sie umgeben,
umschliessen, übersteigen, ermöglichen,
die Stille, die war vor aller Zeit,
die jetzt ist und immer sein wird,
dann begrenzen wir uns in Anhaftung
und Verwicklung, Missverstehen
und Verwirrung.
Dann erzählen wir uns wieder und wieder
und wieder unsere eigene und gegenseitige
Geschichte vom Ich.
Wir bestätigen uns dann diese Geschichte
wieder und wieder – mal freundlich, mal im
Streit, doch immer im falschen Glauben,
der zu sein, von dem wir da erzählen.
So vertieft sich die Identifikation
mit einer Person im ständigen Versuch,
uns Sicherheit und Bestätigung verschaffen,
wo es keine gibt. Wir versuchen in dieser
Art des Sprechens, in dieser Art
des uns Fesselns und Anhaftens
an Person und Geschichte, an Ursache
und Wirkung, an Ursprung und Ziel,
uns zu versichern, dass es uns gibt
als genau diese Geschichte, diese Person.
Wir versuchen Permanenz zu schaffen,
wo keine ist. Und verstricken uns tiefer
und tiefer in die Illusion. Es ist jedoch nicht
nur das Sprechen untereinander.
Unser eigener Verstand spricht ständig
mit sich selbst, tauscht Argumente
und Gegenargumente mit sich selbst aus.
Emotionen steigen auf, Bilder und Sprache
werden dazu produziert – ein andauerndes
inneres Gespräch und ein innerer Film.
Mit wachsender Bewusstheit
und wachsender Hingabe werden jedoch
die Lücken in diesem Gedankenstrom
mehr und mehr wahrnehmbar
und werden länger.
In diesen Lücken zwischen den Gedanken
dringt die Stille zunächst durch:
Die Zeit steht still, der Raum ist unendlich,
kein Ich, kein Ego ist mehr da in diesem
Moment. Stille ist vollkommen rein
und gleichzeitig vibrierend in Lebendigkeit.
Sie hat nichts Dumpfes, nichts Totes an sich.
Auch in Momenten der Ergriffenheit,
des Staunens, der Schönheit
oder auch des Schrecks bleibt der Verstand
für einen Moment stehen,
und ein Hauch der Göttlichkeit,
die wir sind, wird erfahren.
Der Verstand kann die Stille nicht hören,
aber das Herz hört sie,
wenn wir unsere Aufmerksamkeit von
diesem ständigen Selbstgespräch weg
und auf die Stille selbst ausrichten.
Uns eine Zeit der äußeren Stille zu erlauben,
eine Zeit ohne Sprechen,
kann sehr hilfreich sein.
Wenn wir nicht reden, kann auch der Geist
sich mehr und mehr entspannen,
und das innere Selbstgespräch
der verschiedenen Teile des eigenen
bewussten und unbewussten Verstandes,
das ja normalerweise die selben
Geschichten wieder und wieder wiederholt,
kann nachlassen.
Wir können eintreten durch dieses Tor
der Stille und uns tiefer und tiefer sinken
lassen. Dieser Raum von Stille,
von Nicht-Verstand und Nicht-Ich
wird mehr und mehr, oder besser:
du sinkst tiefer und tiefer.
Gleichzeitig werden in diesem Raum
der Stille, der sich mehr und mehr auftut,
Anhaftungen, Verwicklungen,
Verblendungen, Ego, Identifikationen
mehr und mehr sichtbar und erfahrbar,
die bis dahin unter dem Lärm der Gedanken
verborgen blieben.
Sie lösen sich auf, wenn du bereit bist ,
vollkommen offen und rückhaltlos allen
Gefühlen und Erfahrungen, die in diesem
Raum aufsteigen, zu begegnen und dich
der Schutzlosigkeit und Offenheit
des unendlichen Raumes hinzugeben.
Es ist wie ein Schiff, das zunächst am Ufer
vor Anker liegt und jetzt in die offene See
sticht. Der Anker muss geliftet werden
und dann sind da noch einige Seile,
die das Schiff zwar ein Stück weit ins Meer
fahren lassen, es aber dann doch wieder
halten. Diese Seile müssen eins nach dem
anderen gekappt werden,
was schmerzhaft und auch erschreckend
sein kann, bis das Schiff vollkommen frei ist
in den unendlichen Ozean des Bewusstseins
zu segeln.
Bis wirklich und auf Dauer nichts mehr
bleibt von dem Ego, der Person
und Geschichte, die wir immer glaubten
zu sein. … bis nichts mehr bleibt als Stille,
als Liebe – unendlicher weiter Raum.
Und du bist ganz verschwunden in dem.
Und jetzt ist es nicht mehr eine kürzere
oder längere momentane Erfahrung,
sondern die Permanenz deines Seins.
Dann ist in jeder deiner Aktionen
und Nicht-Aktionen,
in deinem Tanzen und deinem Still-Sitzen,
in deinem Sprechen und deinem Schweigen
die Stille und der Frieden deines Seins
präsent und wahrnehmbar wie ein Duft.
Und gleichzeitig bleiben wir ganz Mensch –
ganz da – ganz präsent – ganz wach – ganz
lebendig – ganz fühlend.

Pyar

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