Glück

Alle reden vom Glück. Aber was ist das? Eigentlich nur ein Wort. Aber was ist damit „gemeint“, was wird „mitgedacht“ und was soll dabei „eigentlich“ gesagt werden? Möglicherweise haben wir eine Auffassung vom Glück, die uns unglücklich macht. Daher ist es ausgesprochen wichtig, was wir unter „Glück“ verstehen. Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Die für unsere wichtige Bedeutung legen wir allein selbst für uns fest.847654 four leaf clover

4 Arten von Glück

Das Zufallsglück

Das deutsche Wort „Glück“ (vom althochdeutschen gelücke) hat viel mit dem Schicksal zu tun, das günstig oder auch anders ausfallen kann. Diese Zufälligkeit prägt das Wort bis heute. Glück wird meist mit dem günstigen und erwünschten Zufall in Verbindung gebracht.

Den Zufall können wir nicht beeinflussen, sondern nur unsere Haltung dazu: sich zu verschließen oder offen zu sein. Verschließen würde erfordern, möglichst die Wohnung nicht mehr zu verlassen. Mit der Haltung der Offenheit werfen wir das Netz aus, in dem der Zufall sich verfangen kann. Das quantenhafte Zufallsglück macht gern dort Station, wo es sich gut aufgehoben fühlt und nicht noch Vorwürfe zu hören bekommt, dass es „momentan nicht passt“.

Das Wohlfühlglück

In heutiger Zeit definieren viele Menschen das Glück über das „Positive“: das Angenehme, die Lüste, das Wohlfühlen, die guten Empfindungen, das völlige Verschwinden jeglicher Art von Schmerz. Dieses Wohlfühlglück ist nicht verwerflich, sondern hält glückliche Augenblicke bereit, für die Ihr Euch offen halten oder auch selbst vorbereiten könnt. Für diese Augenblicke allein lohnt sich das Leben schon. Wie gut, dass ihr euch nahezu jeden Tag finden lässt: Herrlich, diese aromatisch duftende Tasse Kaffee! Dieser schöne Film, den ihr zelebriert und für den ihr euch einen ganzen Abend Zeit nehmt! Dieses wohlige Zusammensein mit einem alten Freund, eurer besten Freundin bei einem guten Glas!

Es ist wichtig, diesen Fundus auszuschöpfen. Aber tappt nicht in die Falle, diesem Glück zu viel zuzumuten. Denn ein Problem bringt es doch mit sich: Es ist nicht von Dauer. Stellt euch darauf ein, dass es noch andere Zeiten geben wird, dass nicht alles jederzeit wohlig und lustvoll sein kann. Das Glück nur in der Lust zu suchen, erscheint sogar als der sicherste Weg, unglücklich zu werden, denn die Lust dauert nicht: Die Lust des Essens, des Trinkens, auch die des Betts ist ein schöner Moment, eine selige Erfahrung, aber sie hält nicht lange vor, das gehört zu ihrem Wesen.

Wer Schmerzen ausschalten will, erfährt nicht mehr den Kontrast, der die Lust erst fühlbar macht. Dass das Leben Höhen und Tiefen kennt, weiß auch der moderne Mensch, aber Geltung haben in seinen Augen eigentlich nur die Höhen. Er tut alles, um wieder „aus dem Tief herauszukommen“ – wenn nötig, mithilfe von Medikamenten. Fehlendes Glück ist in der Moderne nur als Krankheit denkbar. Es muss noch eine dritte Art von Glück geben, die anders strukturiert ist.

Das Glück der Fülle

Das Glück der Fülle umfasst auch die andere Seite, das Unangenehme, Schmerzliche und „Negative“. Entscheidend dafür ist eine geistige Haltung zum Leben, die auch die Gegensätze gelten lässt. Selbst das Wohlfühlglück wird erst dadurch wertvoll, dass es auf eine gegensätzliche Erfahrung folgt: Ohne Anstrengung und schwierige, sogar leidvolle Zeiten gibt es keine Zeiten des Wohlgefühls. Das Wohlgefühl bleibt leer, wenn es nur für sich steht. Das Glück der Fülle hingegen resultiert aus der Atmung zwischen den Polen des Positiven und Negativen. Erst die gesamte Weite der Erfahrungen vermittelt uns den starken Eindruck, wirklich zu leben.

Das umfassende Glück der Fülle ist das philosophische Glück – nicht abhängig von bloßen Zufällen und momentanen Empfindungen. In Heiterkeit und Gelassenheit kommt es am besten zum Ausdruck: Das ist der „gute Geist“, von dem die antike griechische Bezeichnung für Glück ihren Namen hat: Eudaimonia. So finden Sie die Balance in aller Polarität des Lebens. Nicht unbedingt im jeweiligen Augenblick, sondern durch das gesamte Leben hindurch, das nicht nur aus Gelingen besteht, sondern auch aus Misserfolgen; nicht nur aus Erfolg, sondern auch aus Misserfolg; nicht nur aus Lust, auch aus Schmerz; nicht nur aus Fröhlichkeit, auch aus Traurigkeit. Es ist paradox, dieses Glück: Es umfasst nicht nur das Glücklichsein, sondern ebenso das Unglücklichsein.

Die Kunst des Unglücklichseins

Was ist, wenn ihr euch mitten im Wohlfühlglück unglücklich fühlt? Dann liegt es nahe, die Krankheit der Depression dahinter zu vermuten. Aber in den meisten Fällen handelt es sich einfach um eine Melancholie, eine Seinsweise, die von alters her zum Menschsein gehört. Es gibt sehr wohl eine Krankheit der Depression, gekennzeichnet von erstarrten Gefühlen und einer Niedergedrücktheit, die keine Nachdenklichkeit mehr erlaubt. Um deren Heilung bemühen sich Ärzte und Therapeuten. Die Melancholie hingegen ist sehr gefühlsbewegt und voller Nachdenklichkeit, Sensibilität und Selbstbesinnung. Der melancholische Mensch kann reflexive Distanz zu allem gewinnen und die Selbstverständlichkeiten verlieren, in denen Menschen gewöhnlich leben, ohne es recht zu bemerken.

Es gibt daran nichts zu heilen. Eher ist diese Dimension des Menschseins zu pflegen, um das Leben in seiner ganzen abgründigen Tiefe auszuschöpfen. Mache eine Kunst daraus, indem Du Dich mit Deinr eigenen Melancholie anfreundest Sie kann quälend und selbstzerstörerisch sein. Doch das lässt sich mildern: Arrangiere Dich mit der Melancholie. Definiere Zeiten der Melancholie, die nur dir gehören. Pflege Gewohnheiten, in deren Umfeld sie eingebettet und gepflegt werden kann: etwa regelmäßige Spaziergänge, bei denen Sie melancholischen Gedanken nachhängen dürfen. Der Rest des Tages gehört dann den banalen Erfordernissen des Alltags. So ist auch dem Unglücklichsein ein schönes und bejahenswertes Leben abzugewinnen: noch ein Glück, wenngleich ein ungewöhnliches.

Quelle

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