Neue Sicht

Weihnachten löst von jeher eine ganze Bandbreite von Gefühlen in uns aus. Die Spanne zwischen Erwartungen und dem, was dann wirklich passiert, könnte vielfach größer nicht sein.
Sobald die „besinnliche Zeit“ anbricht machen wir uns irgendwo zwischen Kindheitserinnerungen und Erwartungen auf eine innere Reise. Vieles von dem, was da vor sich geht, wird uns anscheinend erst bewusst, wenn „etwas passiert“. Viele von uns leben in der Adventszeit auf ein Ritual zu. Diejenigen, die das nicht tun, sind u.U. vorwiegend damit beschäftigt „nicht auf ein Ritual zuzuleben“ und somit dann eben mit dem selben beschäftigt, wie die anderen.
Die Adventszeit setzt uns auf eine innere Fährte. Damit wird ein Prozess gestartet, der anscheinend abläuft, ob wir wollen oder nicht, die meisten von uns können sich diesem Prozess nicht entziehen.
Dieser Prozess ist ähnlich wie andere Prozesse, wie zB Trauer, einmal so angelegt und wird ablaufen ob wir ihn bewusst mit- und nachvollziehen oder ob wir äußerlich so in Aktivitäten gefangen sind, dass wir für die inneren Bewegungen keine Aufmerksamkeit übrig haben.
Wo führt uns dieser „Advents-Prozess“ denn hin?
Zurück in die Kindheit? Nach innen zu unseren Strukturen? In den Kern unserer Beziehungen? – In unsere Zukunft? Zeigt er uns, was wir eigentlich gerne tun würden? Weckt er viele neue, erstmal unerfüllbare Wünsche? – Ich denke mir, dass wir an unsere Anfänge und zu unseren Grundformulierungen geführt werden. Und es scheint mir eine Art Bilanz-Prozess zu sein.
Und was kommt dann? – Was passiert dann an Weihnachten?!
Dann werden diese Grundformulierungen mit dem Hier&Jetzt, mit einem tatsächlich gelebten Moment, in Berührung kommen. Und dann wird es sein, wie in der Technik: Je unterschiedlicher zwei Potentiale sind, die miteinander in Kontakt kommen, desto heftiger wird die Entladung. Diese ist in der Regel für den Moment destabilisierend und richtet Schäden an. Ein Blitz, ein Knall, Hitze, plötzlich einsetzende Kälte. Daraus resultiert ein Schreck, der dann Zeit zum Nachklingen und zum Verklingen braucht.
Und was hat das alles mit dem christlichen Weihnachten zu tun? – Ursächlich nichts, denke ich. Ich vermute, dass es ein menschlich-geographisches Phänomen ist, welches uns hier begegnet. Am 21. Dezember ist der kürzeste Tag. Und so weit vom Äquator entfernt wie wir hier leben, ist es sehr deutlich spürbar, dass uns bis zu diesem Tage der Raum zum Leben (Tag) immer mehr eingekürzt wird und von da an – der Raum zum Leben sich täglich wieder erweitert wird. Dieser Vorgang lenkt unser Denken, begünstigt Gedanken, die sich mit Grundlegendem befassen.
Kulturell und religiös überlagern sich nach Jahrhunderten diese natürlichen Tendenzen, Gepflogenheiten und Rituale. Weihnachten und Advent führt nun sicherlich dazu, dass dieser, für uns Nordeuropäer typische Jahreszyklus mit einem Rückbesinnungsprozess am Ende, noch verstärkt wird.
Die Idee ist, dass ich glaube, dass uns ein Bilanz- und Zentrierungs-Prozess sowieso ergreifen würde, ob es nun Weihnachten gäbe oder nicht. Das Ritual verstärkt diese Tendenz nur und führt am Ende zu einer Zuspitzung, zu einer nahezu programmierten Weihnachtskrise. Und nun kommen wir zu dieser größtmöglichen Unmöglichkeit des Jahres: Gerade in diese Weihnachtskrise hinein planen wir das Treffen mit den Verwandten, planen wir Stunden des Beisammenseins, die harmonisch und freundlich sein sollen. Vor lauter zusätzlichem Vorbereitungsstress, zusätzlichen Events, und künstlich erhöhten Anforderungen an Ordnung, Sauberkeit und Organisiertheit im Außen, werden wir aber wieder einmal im Innen gereizt und überfordert und eben gerade nicht gut vorbereitet sein auf ein lange aufgeschobenes Wiedersehen, dem besser eine klärende Aussprache vorausgegangen wäre als ein Sprung ins kalte Wasser.
Weihnachten könnte ungeschickter nicht angelegt sein. Menschen, die parallel zu den Vorgängen in der sie umgebenden Natur in einem inneren Konsolidierungsprozess beschäftigt und so viel dünnhäutiger sind als üblich, überfordert man 4 Wochen lang systematisch um sie dann in Begegnungen zu stürzen, die nicht zu den einfachen zählen.
Wie können wir dieser Weihnachtskrise entgehen? Wie können wir diesen scheinbar sich selbst uns sich aufzwingenden Prozess statt dessen positiv nutzen? – Indem wir ihn bewusst annehmen und besser noch: aktiv betreiben. Indem wir Dinge mit Absicht tun, die uns sonst immer aufgezwungen wurden oder/und vor denen wir uns bisher immer innerlich weggedreht haben. – Ja, aber nicht ohne hilfreiche Werkzeuge und nicht ohne eine neue Sicht auf das alles!

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