Von der Kunst zu Geniessen 1

Genuss ist keine Frage des Geldes. Vielmehr geht es um die Fähigkeit, das Leben mit allen Sinnen wahrzunehmen. Und das lässt sich sogar im Alltag üben.

Dina ist drei Jahre alt und hält zum ersten Mal einen Maiskolben in der Hand. Sie betrachtet ihn lange und nachdenklich, dreht ihn und versucht mit ihren kleinen Fingern einzelne Körner abzukratzen. Dann hält sie den goldenen Kolben an ihre Nase, riecht daran und beisst schliesslich hinein. Vielleicht ist es die ungewohnte Art etwas zu essen, die Süsse oder die Tatsache, dass die Körner beim Zubeissen in ihrem Mund spritzend zerplatzten, oder vielleicht ist es einfach ein Moment des Glücks, in dem alle Sinne gleichzeitig und aufs Schönste berührt wurden. Auf jeden Fall fangen ihre Augen zu leuchten an, und sie beisst herzhaft zu.

In seinem Buch «Genussbarometer Deutschland» publizierte der Autor Thomas Platt eine Studie, die sich mit dem Thema Geniessen in Deutschland befasst. Fast 90 Prozent der über tausend Befragten waren der Ansicht, dass Genuss im Leben der Menschen eine wichtige Rolle spielen sollte, und zwar unabhängig von der wirtschaftlichen Lage. In der Befragung kristallisierten sich vier Geniessertypen heraus: der Couch-, der Alltags-, der Erlebnis- und der kulinarische Geniesser. Die Fähigkeit zum Genuss, zumindest zum kulinarischen, ist lernbar ist. Das bestätigt auch der bekannte Walliser Koch Friedrich Zemanek, der in seinem Restaurant Walliserkanne in Fiesch schon seit Jahren Koch- und Geschmacksbildungskurse für Kinder wie die kleine Dina anbietet. «Diese Kinder sind die späteren Gourmets», ist Zemanek überzeugt.

Doch wie steht es mit anderen Genüssen? Darf man in Zeiten wirtschaftlicher und sozialer Not überhaupt geniessen? «Genuss», so die Winterthurer Psychotherapeutin Marianne Tobler-Schkölziger, «ist nicht in erster Linie eine Frage des Wohlstandes oder des Geldes, das man ausgibt für ein Objekt seiner Begierde. Genuss kann die Vorfreude auf ein Konzert sein, der Moment, in dem die Mousse auf meiner Zunge schmilzt, oder ein Ausflug zu zweit. Ich bezeichne diese Momente als erleuchtete Augenblicke, für die ich mir Zeit nehme und auf die ich mich mit allen Sinnen einlasse.» Das gilt für das Liebesspiel genauso wie fürs Spazierengehen. Wer in aller Eile durch den Wald stampft, wird kaum den moosig würzigen Geruch wahrnehmen oder das weiche Federn des Waldbodens spüren. Er wird sich auch nicht daran erinnern und seine Tagträume mit Bildern und Gerüchen des Waldes füllen können.

Werden Sie ein Genussmensch

Auf welche Weise und was Sie geniessen, können nur Sie selbst sagen, denn was andere schön finden, muss Ihnen noch lange nicht gefallen. Genuss ist vielleicht eine Frage der Verhältnismässigkeit, doch auch die bestimmt letztlich jeder für selber. Wenn Sie 3000 Franken für ein Kleid ausgeben, ist das sicher viel verglichen mit den Durchschnittskleiderkosten, doch als Chefin eines Modehauses sehen Sie das vermutlich anders. Nachfolgend ein paar Trainingsideen für den vollen Genuss.

Seien Sie Gourmet, nicht Gourmand

Der Feinschmecker gilt als Prototyp des Geniessers schlechthin. Setzen Sie auf Qualität und nicht auf Quantität. Auch der beste Kuchen verleidet einem, wenn er täglich aufgetischt wird.

Der Weg ist das Ziel

Entdecken Sie die Langsamkeit, lassen Sie sich Zeit; Leistung und Lust sind nicht nur in der Sexualität unvereinbare Gegen- sätze.

Ergreifen Sie den Moment

Feiern Sie die Feste, wie sie fallen. «Carpe diem, nütze den heutigen Tag und warte nicht auf den nächsten», empfahl schon der lateinische Schriftsteller Horaz seinen Lesern. Das Leben sei zu kurz, um einen schönen Augenblick unbeachtet zu lassen.

Setzen Sie all Ihre Sinne ein

Schliessen Sie die Augen, und hören Sie den Vögeln zu. Nehmen Sie ein Stück Brot in die Hand, und riechen Sie daran. Lassen Sie sich vom Farbenspiel am Himmel verzaubern. Legen Sie sich in die Badewanne, und spüren Sie, wie Ihr Körper auf dem Wasser schwebt. Achten Sie auf die Dinge, die Sie umgeben.

Schaffen Sie sich Freiräume

Schon in der Antike befassten sich Gelehrte mit dem Thema des Geniessens. Der griechische Philosoph Epikur schrieb viel über den Zustand des Wohlbefindens, der Seelenruhe (Ataraxia) und wie dieser zu erlangen sei. Er schilderte diese Daseinsform als Freiheit von Zwängen, Ängsten, Begierden und Schmerzen. Die Lust am Leben stetig jeden Tag, jeden Moment auskosten, war Epikur überzeugt, könne nur ein geistig und gefühlsmässig autonomer Mensch.

Kaufen Sie sich den Jupe, den Sie schon seit Tagen im Schaufenster bewunderten. Freuen Sie sich am kühnen Schnitt, am Glanz des Stoffes, und lauschen Sie auf das Knistern der Seide.

Quelle:Schweizer Familie

One comment on “Von der Kunst zu Geniessen

  1. Reply Nina Feb 8,2009

    Danke für diesen Beitrag, der wieder zum nachdenken und ausprobieren anregt. Es ist schon komisch, dass immer zum richtigen Zeitpunkt irgendjemand etwas schreibt, das man gerade jetzt braucht oder über das man sich selber gerade Gedanken macht. Es gibt wohl doch keine Zufälle auf der Welt.

    Alles Liebe
    Nina

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